Willkommen Laurent, vielen Dank für Ihre Zeit. Könnten Sie etwas über sich selbst und die Rolle Ihres Instituts erzählen?

Aber sicher! Ich bin ausgebildeter Hydrologe und habe im Jahr 2000 an der Universität Straßburg in Frankreich promoviert. Meine Doktorarbeit entstand in Zusammenarbeit mit einem Forschungsinstitut in Luxemburg, das 2015 mit dem Luxembourg Institute of Science and Technology fusionierte, für das ich heute arbeite. Ich bin dieser Organisation direkt nach Abschluss meiner Promotion beigetreten.
 
Unser Institut ist als Forschungs- und Technologieorganisation (RTO) klassifiziert. Wir sind in einer Vielzahl von Aktivitäten tätig, die das gesamte Spektrum der Technologie-Reifegrad-Skala (TRL) abdecken, von der Grundlagenforschung bis hin zu angewandten Lösungen. Innerhalb unserer Einrichtung gibt es verschiedene Forschungseinheiten, die sich mit Schlüsselbereichen wie künstlicher Intelligenz, Umweltfragen, Materialwissenschaften und Weltraumressourcen befassen.
 
In meiner Funktion arbeite ich speziell im Umweltbereich und konzentriere mich auf Fragen im Zusammenhang mit Wasser – dies umfasst sowohl die Wassermenge und -qualität als auch die Auswirkungen des Klimawandels und globaler Veränderungen auf die natürlichen Ressourcen.

Im Jahr 2021 kam es in Luxemburg zu erheblichen Überschwemmungen, die zu zahlreichen Evakuierungen führten. Wie hat dieses Hochwasserereignis Ihre Forschungsprioritäten und den Schwerpunkt Ihres Instituts beeinflusst?

Obwohl das Hochwasserereignis von 2021 sicherlich Auswirkungen hatte, würde ich nicht sagen, dass es unsere Forschungsprioritäten verändert hat. Unser Fokus auf Hydrologie und Klimawandel hat tiefe Wurzeln, die weit vor diesem Ereignis liegen. Zum Beispiel waren wir 1993 und 1995 Zeugen großer Überschwemmungen in Luxemburg und der gesamten Region. Damals war die Situation aufgrund des Fehlens eines modernen Vorhersagesystems, das in Echtzeit mit Wetterstationen und Pegelmessern verbunden war, ganz anders als heute.
 
Als Reaktion auf die Überschwemmungen im Jahr 1993 beschloss die Regierung, massiv in ein modernes hydrometeorologisches Überwachungsnetzwerk und ein Hochwasservorhersagesystem zu investieren. Als wir diese Lücke erkannten, sahen wir die Möglichkeit, unsere Forschung zu den Prozessen, die die Umwandlung von Niederschlag in Abfluss steuern, zu vertiefen – hauptsächlich, aber nicht ausschließlich in Quellgebieten. Seitdem sind wir bestrebt, dieses Verständnis in die routinemäßigen Überwachungs- und Vorhersageaktivitäten zu integrieren. Daher ist unser grundlegender Fokus auf die hydrologischen Prozesse weitgehend gleich geblieben, unabhängig vom Ereignis im Jahr 2021.
 
Es ist allerdings wichtig festzuhalten, dass wir seit 2016 immer häufiger mit katastrophalen Sturzfluten konfrontiert sind – Ereignisse, die uns vor weitaus größere Herausforderungen stellen, als wir erwartet hatten. Unsere bestehenden Überwachungsprotokolle und Vorhersagesysteme waren nicht darauf ausgelegt, mit der stark lokal begrenzten und intensiven Natur von Sturzfluten umzugehen. Diese Erkenntnis veranlasste uns, unsere Systeme anzupassen, damit wir solche Extremereignisse, die häufig mit Mittelmeerregionen in Verbindung gebracht werden, besser bewältigen können.

Durchflussmessungen vor Ort während eines Hochwasserereignisses.

Wir würden gerne näher auf das Thema der Unvorhersehbarkeit von Wetterlagen eingehen. Wie arbeitet Ihr Forschungsinstitut angesichts der bereits erwähnten längeren Dürreperioden und extremen Regenfälle mit den lokalen Behörden – insbesondere mit der Administration de la gestion de l'eau (Wasserbehörde) – zusammen, um diese Herausforderungen zu bewältigen?

Unsere Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden besteht seit fast drei Jahrzehnten. Von Anfang an haben wir eng mit ihnen zusammengearbeitet, um die Herausforderungen im Bereich der Wasserbewirtschaftung anzugehen. Die örtlichen Behörden konzentrieren ihre Überwachungsmaßnahmen in der Regel auf größere Flüsse, da in ihren Überschwemmungsgebieten in der Regel Dörfer, Städte und Industriegebiete liegen. Im Gegensatz dazu liegt unser Schwerpunkt eher auf den Oberläufen, wobei wir uns nicht nur darauf beschränken.
 
Unser Ziel ist es, ein breites Spektrum an geologischen Gegebenheiten, Bodenarten und Landnutzungsklassifizierungen abzudecken, was letztlich für die lokalen Behörden unschätzbar wertvoll ist. Es verschafft ihnen ein tieferes Verständnis für die Prozesse, die die Reaktion auf Niederschläge und Abfluss bestimmen, und für die Faktoren, die zu Verzögerungen beim Abfluss führen können.
 
Die von uns betriebenen Überwachungsnetzwerke – sowohl unsere als auch ihre – ergänzen sich gegenseitig. Wir haben stets dafür gesorgt, dass wir voneinander wissen, in welchen Bereichen wir jeweils tätig sind. Durch die gemeinsame Nutzung unserer Datensätze ermöglichen wir ihnen den Zugriff auf unsere Daten, während wir ihre bei Bedarf nutzen können.
 
Über den Datenaustausch hinaus beteiligen wir uns auch an Kooperationsprojekten, vor allem an solchen, die praxisorientiert sind und oft von lokalen Behörden finanziert werden. So haben wir beispielsweise nach dem Hochwasser im Jahr 2021 eine eingehende Analyse des Ereignisses durchgeführt. Dabei wurden verschiedene Faktoren untersucht, darunter die meteorologischen Bedingungen und die Reaktion verschiedener Einzugsgebiete auf der Grundlage ihrer Geologie und Landnutzung. Diese Art von Analyse ist für uns nach jedem Extremereignis Standard.
 
In den letzten Jahren haben wir regelmäßige Treffen mit den lokalen Behörden eingeführt, um sie über unsere Grundlagenforschung auf dem Laufenden zu halten. Diese Treffen bieten ihnen auch die Möglichkeit, uns ihre Prioritäten und spezifischen Bereiche mitzuteilen, auf die wir uns bei unseren Forschungsprojekten konzentrieren sollen. Dies garantiert zwar nicht die Finanzierung dieser Projekte, gibt uns aber wertvolle Einblicke in ihre Bedürfnisse. Wenn wir Vorschläge bei nationalen Förderstellen oder Programmen der Europäischen Union einreichen, können wir unsere Forschungsziele daher auf nationaler und internationaler Ebene an deren Prioritäten ausrichten.

Ein bemerkenswertes Beispiel für unsere Zusammenarbeit ist ein Projekt, das wir in Zusammenarbeit mit der National Telecom Company und der Stadt Luxemburg durchgeführt haben. Ziel der Initiative war es, Regenmengen über große Entfernungen hinweg mithilfe von Mikrowellenverbindungen zu messen. Die Technologie basiert auf Antennen, die für die mobile Telekommunikation verwendet werden und Mikrowellensignale übertragen. Bei Regen werden die Signale schwächer, und diese Dämpfung kann in präzise Niederschlagsmessungen umgewandelt werden, was besonders bei starken Regenfällen von Nutzen ist. Sich ausschließlich auf Regenmesser zu verlassen, kann manchmal weniger effektiv sein.
 
Man ist sich zunehmend einig, dass der Klimawandel eine Realität ist. Wir haben zwar Zugriff auf hochauflösende Daten zu Niederschlägen und Wasserführung von Fließgewässern aus den letzten 30 Jahren, doch für weiter zurückliegende Zeiträume sind diese Daten begrenzt. Um diese Einschränkung zu überwinden, nutzen wir natürliche Indikatoren wie Baumringe und Süßwassermuscheln, die bis zu 200 Jahre alt werden können. Diese natürlichen 'Aufzeichnungsgeräte' ermöglichen es uns, historische Umweltbedingungen zu rekonstruieren, einschließlich meteorologischer Daten und Abflussmuster von Flüssen.
 
Zusätzlich verwenden wir stabile Sauerstoff- und Wasserstoffisotope, um die Fließzeiten des Wassers innerhalb eines Einzugsgebiets zu bestimmen. So können wir die Geschichte unserer Fließgewässer bis zu 200 Jahre oder länger zurückverfolgen, also weit vor dem Aufkommen moderner Messinstrumente. Solche historischen Daten sind für Entscheidungsträger und Stakeholder besonders wertvoll, da sie Aufschluss darüber geben, wie sich die aktuellen Wasserverhältnisse im Vergleich zu den Bedingungen verhalten, die vor 100 oder 200 Jahren als normal galten.

Luxemburg liegt flussaufwärts von anderen Ländern, die am JCAR-ATRACE-Projekt beteiligt sind. Wie beeinflusst diese geografische Lage Ihrer Meinung nach den Ansatz Ihres Instituts für das internationale Wassermanagement, insbesondere im Hinblick auf Hochwasser- und Dürrevorhersagen?

Luxemburg hat in den letzten 30 Jahren eine einzigartige Position in der internationalen Zusammenarbeit eingenommen. Das JCAR-ATRACE-Projekt ist nicht unsere erste Beteiligung an internationalen Bemühungen, und die Teilnahme an diesen Projekten hängt auch sehr stark mit unserem einzigartigen Überwachungsnetzwerk zusammen.
 
Obwohl Luxemburg klein ist, weist es eine vielfältige Physiographie auf. Einige Gebiete sind Teil der Schiefer Ardennen, während andere zur Gutland-Region gehören, die sich durch unterschiedliche Landschaften auszeichnet, darunter Sandstein und Mergel. Das Klima ist jedoch im ganzen Land im Allgemeinen gleichmäßig, was es zu einem idealen Freiluftlabor für Umweltforschung macht.
 
Wenn man mit Menschen aus Ländern wie den Niederlanden, Deutschland oder Belgien spricht, wird deutlich, dass die Überschwemmungen, die sie erleben, oft viel größer sind als die in Luxemburg, da sie größere Überschwemmungsgebiete und größere Wassermengen bewältigen müssen. Dennoch sind unser dichtes Überwachungsnetz und unsere vielfältige physiografische Umgebung für diese internationalen Kooperationen von großem Wert – insbesondere, da die überwiegende Mehrheit der Überschwemmungen ihren Ursprung in den Oberläufen hat.

Um beim Thema Grenzen zu bleiben: Wie beeinflussen die Nachbarländer Belgien, Deutschland und andere Ihre Strategien und Initiativen im Bereich Wassermanagement?

Wenn es um Strategien im Bereich Wassermanagement geht, wäre Mark Hans, der Direktor der Wasserbehörde, sicherlich am besten in der Lage, diese Frage zu beantworten. Aber ich kann trotzdem einige Gedanken dazu äußern.
 
Da wir uns im Quellgebiet befinden, trägt fast das gesamte Land zu den größeren Flusseinzugsgebieten bei. Jede Maßnahme, die wir hier in Luxemburg ergreifen, wird sich sicherlich flussabwärts auswirken. Wenn wir beispielsweise Maßnahmen ergreifen, um das Fortschreiten von Hochwasserwellen zu verlangsamen, oder umgekehrt, wenn wir versuchen, Wasser so schnell wie möglich loszuwerden, wird dies Auswirkungen auf die Menschen haben, die weiter flussabwärts leben. Unmittelbar wären davon Gebiete in Deutschland betroffen, da das meiste Wasser, das in Luxemburg abfließt, schließlich in die Mosel gelangt und dann in den Rhein fließt. Die ersten, die betroffen sind, sind die Menschen, die unterhalb von Luxemburg leben.
 
Die Teilnahme an Projekten wie diesem schärft das Bewusstsein für diese gemeinsame Verantwortung. Aus wissenschaftlicher Sicht möchten wir nicht, dass unsere Forschungsergebnisse oder deren Anwendung auf ein kleines geografisches Gebiet beschränkt sind. Durch die Zusammenarbeit mit KollegInnen aus Belgien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden können wir unsere Ergebnisse vergleichen, bewerten und daraus Schlussfolgerungen in einem breiteren Kontext ziehen. Die Möglichkeiten zur Anwendung unserer Forschung – ob praktisch oder grundlegend – sind viel größer, wenn wir Teil solcher internationaler Kooperationensolcher internationalen Kooperationen sind.

Sobald man Teil des Netzwerks ist, bekommt man eine andere Perspektive. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Entscheidungen, die in Quellgebieten wie dem unseren getroffen werden, Konsequenzen für die Menschen flussabwärts haben. Hier sehe ich den Mehrwert von Projekten wie JCAR ATRACE.

Dr Laurent Pfister

Hydrologe am Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST)

JCAR ATRACE ist eine großartige Plattform für den Austausch von Wissen und Erfahrungen. Da wir in einem Quellgebiet leben, beobachten wir, wie unsere Bäche und Flüsse schnell auf Veränderungen reagieren, aber das ist ganz anders als das, was Menschen in den unteren Teilen des Flusssystems, wie in den Niederlanden, erleben könnten. Aber alles ist miteinander verbunden. Was im Quellgebiet passiert, wirkt sich letztlich auch auf die flussabwärts gelegenen Gebiete aus, und diese Vernetzung wird manchmal übersehen, wenn man nur in seinem eigenen Interessensgebiet arbeitet.
 
Sobald man Teil des Netzwerks ist, bekommt man eine andere Perspektive. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Entscheidungen, die in Quellgebieten wie dem unseren getroffen werden, Konsequenzen für die Menschen flussabwärts haben. Hier sehe ich den Mehrwert von Projekten wie JCAR ATRACE, insbesondere für uns, die wir aus einem kleinen Land kommen, das hauptsächlich aus Quellgebieten des Rheineinzugsgebiets besteht. Die Vielfalt unserer physiografischen Merkmale in Kombination mit einem relativ homogenen Klima ist von großem Wert, wenn es um die Festlegung von Anpassungs- und Minderungsstrategien geht.
 
Es ist immer wichtig sicherzustellen, dass die Ergebnisse Ihrer Forschung nicht auf einen kleinen Kreis von Interessenvertretern beschränkt bleiben. Dies ist jedoch keine triviale Aufgabe. Die Prozesse, mit denen wir es in den Quellgebieten zu tun haben, sind viel schneller, manchmal in nur einer halben Stunde oder ein paar Stunden, während in größeren Flüssen wie der Mosel oder dem Rhein die Dynamik anders ist und sich oft verzögert.

Versuchsaufbau zur Messung des Niederschlagsdurchflusses in einem Wald.

Wenn wir das richtig verstehen, geht es darum, den eigenen geografischen Kontext zu erkennen – flussaufwärts und flussabwärts zu schauen und über Grenzen hinweg zu denken, richtig?

Laurent: Ja, genau. Die Herausforderung besteht darin, die Erkenntnisse von einem Gebiet auf ein anderes zu übertragen. Die Maßstäbe sind unterschiedlich, die Geologie, die Landnutzung und sogar das Klima können variieren. Durch die Zusammenarbeit mit Menschen, die an ähnlichen Problemen in unterschiedlichen Umgebungen arbeiten, erhält man ein besseres Verständnis für die Mechanismen, die diese Unterschiede antreiben, und dafür, wie sie die Reaktionen der Flüsse auf den Klimawandel beeinflussen. Durch den Austausch von Wissen können wir besser verstehen, wie Systeme in größeren Maßstäben funktionieren, über die Bereiche hinaus, die wir auf individueller Basis untersuchen.

Dr Laurent Pfister

Hydrologe am Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST)