
Workshop
Stärkung der Widerstandsfähigkeit Europas gegenüber extremen Hochwasserereignissen
JCAR ATRACE-Workshop mit Mitgliedern der EU-Arbeitsgruppe „Hochwasser“
In den letzten zehn Jahren gab es in den europäischen Mitgliedstaaten wiederholt extreme Niederschläge in bisher ungekanntem Ausmaß, die zu schweren Überschwemmungen mit weitreichenden Folgen führten. Eine kürzlich durchgeführte Bestandsaufnahme auf Basis von Informationen des Notfallkoordinierungszentrums (ERCC) der DG ECHO der Europäischen Kommission hat mindestens 13 katastrophale Überschwemmungen in Europa in den letzten fünf Jahren identifiziert, bei denen das ERCC Nothilfe geleistet hat. Solche Ereignisse erhöhen die Dringlichkeit und führen zu einem gesteigerten Interesse, daraus zu lernen und die Vorsorge für künftige Extremereignisse zu verbessern.
Am 9. und 10. April 2025 trafen sich über 60 hochrangige politische EntscheidungsträgerInnen aus den Mitgliedstaaten mit Forschenden des JCAR ATRACE zu einem zweitägigen Workshop im Rahmen einer Sitzung der CIS-Arbeitsgruppe „Hochwasser“ in Rotterdam.
Ziel des Workshops war es, die Wirksamkeit des bisherigen europäischen Hochwassermanagements zu bewerten und zu prüfen, inwieweit die jüngsten Überschwemmungen Veränderungen und Anpassungen angestoßen haben. Darüber hinaus wollte die Gruppe ermitteln, welche Anforderungen an die Europäischen Hochwasserrichtlinie gestellt werden, um die Umsetzung des Risikomanagements für extreme Hochwasserereignisse in den Mitgliedstaaten zu beschleunigen.
Renommierte Forschende und erfahrene politische EntscheidungsträgerInnen aus der gesamten EU waren eingeladen, Vorträge zu halten. In zwei Breakout-Sessions wurden wichtige Themen vertiefend diskutiert: der Austausch über nationale Leitprojekte zum Hochwasserschutz und die Identifikation von Handlungsmöglichkeiten und Prioritäten für Maßnahmen zur Umsetzung der Hochwasserrichtlinie, mit dem Ziel die Folgen extremer Hochwasser in Zukunft besser bewältigen zu können. Die Doktorandinnen und Doktoranden von JCAR ATRACE stellten den politischen EntscheidungsträgerInnen im Rahmen eines Postersymposiums ihre Forschungsthemen vor.






In seiner Eröffnungsrede hob Prof. Dr. Bruno Merz vom GFZ Potsdam die Schwächen des derzeitigen Hochwasserrisikomanagements im Umgang mit beispiellosen Hochwasserereignissen hervor. Solche Ereignisse, auch als „Black Swans“ bezeichnet, haben sehr große Auswirkungen und eine geringe Wahrscheinlichkeit. Er identifizierte drei Hauptgründe für diese Mängel und gab Impulse für mögliche Verbesserungen:
Die Einzigartigkeit extremer Ereignisse
Diese Ereignisse sind nicht einfach nur größere Versionen häufigerer Hochwasserereignisse, sondern folgen eigenen, komplexeren Dynamiken. Um diese besser zu verstehen, müssen wir unsere Wissensbasis erweitern und historische Hochwasserereignisse sowie modellbasierte Hochwasserprozessketten einbeziehen.
Kognitive Verzerrungen
Sowohl Einzelpersonen als auch Institutionen werden oft durch kognitive Verzerrungen ('cognitive biases') daran gehindert, Extreme vorherzusehen oder sich darauf vorzubereiten. Indem wir kürzlich aufgetretene Ereignisse in den Betrachtungsbereich nehmen und die Frage neu stellen, was passiert wäre, wenn dieser Regen dort gefallen wäre, könnten wir solche Extremereignisse greifbarer und verständlicher machen.
Weiterreichende gesellschaftliche Auswirkungen
Der bisherige Fokus auf direkte wirtschaftliche Schäden bei der Risikobewertung berücksichtigt nicht die weiterreichenden gesellschaftlichen Auswirkungen von Extremereignissen. Durch die Einbeziehung indirekter und immaterieller Auswirkungen in diese Bewertungen können wir ein umfassenderes Verständnis ihrer Bedeutung gewinnen.
Abschließend betonte Bruno Merz, dass das Hochwasserrisikomanagement über traditionelle Auslegungsereignisse hinausgehen und auch Szenarien ernsthaft berücksichtigen muss, die zwar eine deutlich geringere Eintrittswahrscheinlichkeit, aber potenziell viel schwerwiegendere Folgen haben können.


RegierungsvertreterInnen aus Norwegen, Frankreich, Österreich und Belgien (Wallonien) teilten ihre Erkenntnisse über ihre Maßnahmen zur Bewältigung der jüngsten Hochwasserkatastrophen in ihren Ländern:
Norwegen
Die norwegische Wasser- und Energiedirektion (NVE) betonte, wie wichtig es ist, sich stärker auf die Prävention von Mehrfachgefahren zu konzentrieren. Sie hob hervor, dass in den Ausbau der Wissensbasis über die Wirkungen und Kosten naturbasierter Lösungen investiert werden muss.
Frankreich
Das Europäische Zentrum für Hochwasserrisikoprävention (CEPRI) sprach sich dafür aus, den Wiederaufbau als integralen Bestandteil der Vorsorge zu betrachten. Es betonte die Bedeutung einer strategischen Planung für den Hochwasserschutz, die Förderung eines offenen Dialogs über Wohnhäuser und wirtschaftliche Aktivitäten in hochwassergefährdeten Gebieten und die Abstimmung der Finanzmechanismen, damit langfristige Resilienz-Ziele erreicht werden können.
Österreich
Obwohl die Hochwasserschutzmaßnahmen 2024 wie erwartet funktionierten, kam es zu erheblichen Schäden. Das österreichische Ministerium (BMLUK) wies daher auf die Notwendigkeit hin, Restrisiken unter sich ändernden klimatischen Bedingungen stärker zu berücksichtigen. Es wird anerkannt, dass dies eine schwierige, aber unverzichtbare Aufgabe zur Minderung künftiger Risiken sein wird.
Belgien (Wallonien)
Der öffentliche Dienst Walloniens (SPW) betonte die Notwendigkeit, die betroffenen Ufer der nicht schiffbaren Flüsse so widerstandsfähig wie möglich wiederherzustellen. Dieser Ansatz zielt darauf ab, die Hochwasserprävention und -vorsorge zu verbessern.
Prof. Dr. Bart van den Hurk, Co-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe II zu den Auswirkungen und wissenschaftlicher Direktor bei Deltares, gab einen aufschlussreichen Überblick über die jüngsten Aktivitäten der IPCC-Arbeitsgruppe II zur Vorbereitung des siebten Sachstandsberichts, der 2028 veröffentlicht werden soll. Er diskutierte neue Ideen für Leitlinien zur Anpassung und lud die Workshop-Teilnehmer ein, praktische Fallstudien für den Bericht beizusteuern.
Wichtigste Schlussfolgerungen des Workshops
Wirksamkeit von Hochwasserrisikomaßnahmen
In den vergangenen Jahrzehnten haben die europäischen Länder zahlreiche Maßnahmen zur Verringerung des Hochwasserrisikos und zur Schadensminderung bei extremen Hochwasserereignissen umgesetzt. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Wirksamkeit dieser Maßnahmen auf europäischer Ebene zu bewerten und zu quantifizieren.
Dabei stellen sich wichtige Fragen: Erfüllen wir die Erwartungen und teils auch auch die Forderungen der Gesellschaft? Inwieweit passen wir uns an den Klimawandel an? Wie realistisch sind unsere künftigen politischen Optionen?
Fokus auf Hochwasserbewältigung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit
Die jüngsten Überschwemmungen in Europa haben gezeigt, wie wichtig die effektive Bewältigung von Hochwasser ist. Dieser Bereich wurde als Schwerpunkt für die kommenden Jahre identifiziert. Da die Erfahrungen mit der Bewältigung von Hochwasser begrenzt sind, besteht ein Bedarf, die gewonnenen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen zwischen den Mitgliedstaaten auf strukturierte Weise auszutauschen. Darüber hinaus sollte in der kommenden Zeit der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Hochwasserrisiken viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Beschleunigung der Vorsorgemaßnahmen
Trotz der erzielten Fortschritte ist es wichtig, die gemeinsame Vorbereitung auf extreme Hochwasserereignisse zu beschleunigen. Dazu zählt die Entwicklung fundierter, aktueller und leicht zugänglicher nationaler Hochwassergefahrenkarten, unter Einbeziehung von Echtzeitdaten. Risikokarten, die potenzielle zukünftige Entwicklungen und Auswirkungen auf kritische Infrastrukturen berücksichtigen, sind wichtige Instrumente für Raumplanung, Katastrophenschutz und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit.
Wir danken dem niederländischen Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft, der Europäischen Kommission und den VertreterInnen anderer Mitgliedstaaten für diese einzigartige Gelegenheit, unsere Forschung gezielt auf politikrelevante Themen auszurichten.
Die ForscherInnen von JCAR ATRACE werden weiterhin dazu beitragen, die Wirksamkeit von Hochwasserrisikomaßnahmen zu bewerten und zu quantifizieren, den Wissensaustausch über Erfahrungen bei der Hochwasserbewältigung zu erleichtern und die Vorbereitungsmaßnahmen zu beschleunigen.“

Kymo Slager
Leitender Experte für Hochwasserrisiken bei Deltares, Programmmanager von JCAR ATRACE
Prof. Dr. Bart van den Hurk, co-chair of IPCC Working Group II on Impacts and a Scientific Director at Deltares, provided an insightful overview of the latest IPCC WG II activities in preparation for the Seventh Assessment Report, scheduled for publication in 2028. He discussed new ideas on guidelines for adaptation and invited workshop participants to contribute practical case studies for the report.
Key Conclusions from the Workshop
Effectiveness of Flood Risk Measures:
Over the past decades, countries in Europe have implemented numerous measures to reduce flood risk and mitigate damage from extreme flood events. It is crucial to evaluate and quantify the effectiveness of these measures at a European level. Are we meeting what society expects, and sometimes demands, to what extent are we adapting to climate change? How realistic are our future policy options?
Focus on Flood Recovery and public awareness:
Recent flood events across Europe have highlighted the importance of flood recovery. It has been identified as a key focus area for the coming years. As experience with this recovery is limited, there is a strong desire to share lessons learned and practical experience between member states in a structured way. Moreover, much more attention should be paid to raising public awareness of flood risks in the coming period.
Accelerating Preparedness Efforts:
Despite the progress made, it is clear that we need to accelerate our collective efforts to prepare for extreme flood events. Developing well-established, up-to-date, and easily accessible national flood hazard maps, including real-time data, is essential. Risk maps that take into account potential future developments and focus on impacts to critical infrastructure are vital tools for informing spatial planners, emergency services, and raising public awareness.
We extend our gratitude to the Dutch Ministry of Infrastructure and Water Management, the European Commission, and representatives of other Member States for this unique opportunity to align our research with policy-relevant topics.

JCAR ATRACE researchers will continue to contribute to evaluate and quantify effectiveness of flood risk measures, facilitate knowledge sharing on practical experiences in flood recovery and accelerate preparedness efforts.